Warum individuelle Boni nicht gut funktionieren

Seit den 1980/90er Jahren bestand in vielen Unternehmen das Mantra von „Pay for Performance“ und „MbO“ (Mangement by Objectives)), was in der Verknüpfung von individuellen Zielen oder individueller Leistungsbewertung mit individuellen Boni seine vergütungspolitische Form fand. Das Argument dazu: „Wenn man die individuelle Leistung nicht über Geld sanktioniert, bringt das ja nichts.“ Diese – besten-falls trivial-logische – Ableitung entpuppte sich aber immer mehr als Fata Morgana.

Waren es zunächst maßgeblich die Erfahrungen der Personaler, und hier insbesondere der Vergütungs-spezialisten, die die mangelnde Effektivität und sogar unerwünschte Effekte der Kopplung von individuellen Boni mit individuellen Zielerreichungen feststellten (z.B. dass weiter an Zielen gearbeitet wurde, die zwar im Laufe des Geschäftsjahres irrelevant geworden waren, an denen aber individuelle Boni hingen), so wurden mehr und mehr Forschungsergebnisse bekannt, die das Mantra der Motivationsver-besserung und daraus folgenden Leistungssteigerungen durch Boni in Frage stellten (z.B. Forschungsmonitor „Variable Vergütungssysteme“ des BAMS).

So kam es in den 2010er zunehmend zu einer Entkoppelung der variablen Vergütung von individuellen Zielerreichungen, zumindest im Kreis großer (börsennotierter) Unternehmen. Der Autor hat dies 2010 selbst in einem DAX-Konzern konzipiert und in den Folgejahren z.B. im Kreis der (damals noch 30) DAX-Unternehmen beobachtet.

Wie aus Fachkreisen zu vernehmen ist, scheint das Pendel inzwischen wieder in die Gegenrichtung zu schwingen. Vermutlich erhöhen die zunehmend unsicheren Zukunftsaussichten das Kontroll- und Steue-rungsbedürfnis der aktuell verantwortlichen Top-Manager, denen dann nichts Besseres einfällt als der Rückgriff auf vermeintlich bewährte Motivations-Methoden. Anlass genug, nun auch auf diesem Wege darzulegen, weshalb dieser „Rückfall“ nicht die erwünschten Ergebnisse erzielen kann.

Für einen Artikel aus der Feder eines (ehemaligen) Vergütungsexperten vielleicht zunächst ungewöhnlich, sollen hier Business-Erfahrungen im Compensation & Benefits-Feld mit den Erkenntnissen der Psychologie und Hirnforschung verknüpft werden, da diese aus Sicht des Autors (der auch als selbständiger Coach tätig ist) die maßgeblichen Gründe dafür liefern, die Verknüpfung von Boni oder Incentives mit persönlichen Zielen oder der individuellen Leistungsbeurteilung kritisch zu betrachten.

Während die aus wirtschaftswissenschaftlicher Perspektive durchgeführten Studien (s.o.) zeigen, dass die Koppelung eher unerwünschte Effekte hat, kann die Hirnforschung inzwischen auch erklären, warum das so ist.

Hierzu sei – zwangsläufig unvollständig – an dieser Stelle ein spezifischer Ansatz, nämlich jener der „Metatheorie der Veränderung“ (https://metatheorie-der-veraenderung.info/ ) gewählt:

Voraussetzungen für dauerhafte Leistungsfähigkeit

Eine wesentliche psychologische Erkenntnis ist, dass psychisches Wohlbefinden maßgeblich davon abhängt, seine (psychischen) Bedürfnisse gut regulieren zu können. Bedeutet auch: Dauerhafte Leistungsfähigkeit ist nur bei guter psychischer Befindlichkeit möglich. Dazu braucht es die Befriedigung bzw. Regulation menschlicher Bedürfnisse.

Da wir Menschen soziale Wesen sind, braucht gelungene psychische Bedürfnisregulation echten menschlichen Kontakt, also spürbare Resonanz darauf, wie ich als Mensch in der Welt bin (und eben auch im beruflichen Kontext). Die Gewährung von Geldzahlungen für die Erreichung von individuellen Zielen inkl. Ausschüttung von Boni verhindert geradezu Resonanz. Für viele Manager sind kontaktvolle Beziehungen zu ihren Mitarbeitenden (kontaktvoll meint hier, bewusst auf den anderen Menschen be-zogen) eher schwierig und sie verstecken sich daher hinter den Regularien des Systems und vermeiden den offenen Austausch mit Ihren Mitarbeitenden. Jene wiederum lassen das „Feedback“ über sich ergehen, letztlich nur auf die Aussage wartend, wie hoch denn nun der Bonus ausfallen wird. Regelmäßi-ge Mitarbeitergespräche werden oft nur durchgeführt, „weil HR das so will“. Wie kontaktlos solche Gespräche oft sind, wissen die meisten, die lange genug in solche Methoden praktizierenden Organisatio-nen gearbeitet haben. Wenn das Ganze dann noch als „Performance-Reviews“ (im schlimmsten Fall mit „Forced Distribution“-Vorgaben) organisiert wird, verkommt die ganze Veranstaltung endgültig zum Theater, in dem alle eine Rolle spielen (FK zu MA: „Dieses Jahr bekommst Du eine gute Note (= mehr Boni), nächstes Jahr Dein Kollege/Deine Kollegin.“). Nur das Top-Management glaubt, es würde die Organisation leistungsorientiert führen; alle anderen wenden sich innerlich – entnervt oder belustigt – ab.

Selbst, wenn man glaubt, dass die Auslobung individueller Zahlungen Menschen zu besonderer An-strengung motivieren könne (dass das Kämpfen für individuelle Ziele nicht automatisch zum guten Ge-samtergebnis für die Organisation führt, sei hier nur am Rande erwähnt), ist darauf hinzuweisen, dass Geld ein untaugliches Mittel zur psychischen Bedürfnisbefriedigung ist. Mitarbeitende und Arbeitgeber, die das (noch immer) glauben, verkennen, dass Geld bestenfalls Befriedigungsmittel für ein Ersatzbedürfnis ist. „Ersatzbedürfnisse kennzeichnen sich dadurch aus, dass sie etwas vermeiden.“ (Klaus Eidenschink, Metatheorie der Veränderung „Ersatzbedürfnisstrategien“). Die seitens des/der Mitarbeitenden angestrebte Vermeidung ist in diesem Fall die Vermeidung eines Gefühls der Abwertung. Umgangssprachlicher ausgedrückt: Ein niedriger als erwartet ausfallender Bonus wird als Entzug von Wertschätzung empfunden. Insofern gilt die in Compensation & Benefits-Kreisen bekannte Erkenntnis: “Incentives wirken (leider) doch.“ Nur eben nicht in der gewünschten Weise und schon gar nicht langfristig, weil eben keine wirklichen Bedürfnisse reguliert werden.

Sind diese Aspekte für manche Zeitgenossen womöglich noch keine hinreichenden Argumente (ihnen reicht es kurzfristig das Maximum aus Leuten rauszuholen; gerne auch verbrämt bezeichnet als: „Das ganze Potenzial heben.“), so zeigt die moderne Hirnforschung, dass der Versuch über Boni die Motivati-on zu steigern (und damit die Leistung zu erhöhen), selbst über verhältnismäßig kurze Zeiträume problematisch ist, weil sich die Wirkungsstärke mit jeder Abgabe (also ex-ante Incentive-Auslobung) halbiert, wodurch die Dosis jedes Mal verdoppelt werden muss (vgl. z.B. Gerhard Roth: Probleme materieller Incentives; Halbierung der Wirkung => Verdoppelung des Anreizes). Jeder Personaler kennt das Phänomen, dass Bonuszahlungen schon nach zwei bis drei Auszahlungen (= positive Erlebnisse) „eingepreist“ sind, also auch für die Zukunft erwartet werden. Nicht-Zahlungen haben dann ausgesprochen negative Effekte. Das liegt daran, dass entgangene Bonuszahlungen eben nicht mehr als nicht erhaltene Zusatzleistung gesehen werden, sondern als Verlust gegenüber dem sich zuvor neu gebildeten Referenzwert. Bekannt ist dieses Phänomen als „Verlustaversion“ (Kahnemann/Tversky): Die Psyche bewertet (mögliche) Verluste höher als (mögliche) Gewinne. Jeder Compensation-Spezialist weiß, dass die Gewinnchancen bei variablen Vergütungssystemen immer größer als die Verlustrisiken ausgestaltet werden sollten.

Bei sich abkühlendem Geschäft wird oft der Ruf nach Reduzierung der Ziele laut oder es werden gar Sonderincentives gefordert (und oft auch aufgelegt). Jeder ist gerne leistungs- und erfolgsorientiert, solange die Chancen hoch sind. Rücken die Risiken für das eigene Portemonnaie in den Vordergrund, bilden sich unheilige Allianzen von Geschäftsleitungen mit ihren Bonus-berechtigten Führungskräften (manchmal auch mit Betriebsräten) und man ist sich ganz schnell einig darüber, auf keinen Fall die Belegschaft durch schlechtere Boni-Auszahlungen zu „demotivieren“.

Bessere Alternative – Erfolgsbeteiligung

Dieser Blog soll keine Agitation ggü. variabler Vergütung generell sein! Und nach allen Erfahrungen und auch wissenschaftlichen Erkenntnissen gilt Vorgenanntes insbesondere für kognitiv oder auch innovativ anspruchsvolle Tätigkeiten („Wissensarbeit“). Bei einfachen, repetitiven Tätigkeiten kann das etwas anders aussehen.

Aber wenn – zumindest aus Unternehmenssicht – man die Vorteile variabler Vergütung nutzen möchte (hier sei insbesondere Kostenflexibilität genannt) und die Nachteile minimieren möchte, dann sollte sie als kollektive (ex-post) Beteiligung am Unternehmenserfolg ausgestaltet werden. Dann trifft es im Ver-hältnis alle gleich und keiner kann sich auf vermeintliche Sondergründe berufen, die eine Ausnahme (durch Absenkung der Zielwerte oder kompensierende Sonderzahlungen) „begründen“ könnten. Das Grundproblem der befürchteten „Demotivation“ bleibt jedoch. Dazu kennen Praktiker die beliebte Frage in All Hands-Meetings an den Vorstand und/oder die Personalleitung: „Wie wollen Sie die Leute denn motivieren, wenn die zu erwartenden Boni rückläufig sind?“.

Bei allem Verständnis dafür, dass Arbeitgeber eine optimierte Leistungserbringung und Arbeitnehmer ein möglichst hohes Einkommen wollen – mit individuellen Boni tappen beide in die Falle.

Verweise:

• Bericht zum Forschungsmonitor „Variable Vergütungssysteme“ des BAMS (2018)
• Metatheorie der Veränderung, Leitprozess Bedürfnisregulation (https://metatheorie-der-veraende-rung.info/wpmtags/beduerfnisregulation/?action_from=sub_show_more&action_id=192 )
• Metatheorie der Veränderung, Ersatzbedürfnisstrategien (https://metatheorie-der-veraenderung.info/wpmtags/ersatzbeduerfnisstrategien/ )
• Gerhard Roth: Probleme materieller Incentives; Halbierung der Wirkung => Verdoppelung des Anreizes (z.B.: https://www.faz.net/aktuell/wirtschaft/boni-fuer-banker-hirnforscher-zur-wirkung-materieller-belohnungen-16608629.html#void ) (2020)
• Kahnemann/Tversky: Prospect theory: An analysis of decision under risk (1979)
• Daniel H. Pink, Drive: The Surprising Truth About What Motivates Us (Riverhead, 2009)